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Title
The Rise of Central Banks. State Power in Financial Capitalism


Author(s)
Wansleben, Leon
Published
Extent
352 S.
Price
$ 45.00
Reviewed for H-Soz-Kult by
Juliane Clegg, Historisches Institut, Universität Stuttgart

Warum eine weitere Arbeit zu Zentralbanken, die in der Wirtschafts- und Politikwissenschaft bereits so umfassend erforscht wurden? Diese Frage stellt Leon Wansleben an den Anfang seiner soziologischen Studie, die seine Leserschaft auf eine faszinierende intellektuelle Reise durch 50 Jahre Zentralbankpolitik führt. Im Vorwort zeichnet er nach, wie er über Fachdiskussionen und eine intensive Auseinandersetzung mit seinen empirischen Befunden zur zentralen Fragestellung gelangte: Auf welche Weise vollzog sich der „Aufstieg der Zentralbanken“, die seit den 1970er-Jahren zunehmenden Einfluss auf die Wirtschaftspolitik erlangten, und welche Folgen hatte er?

Den Beginn dieses Aufstiegs verortet Wansleben in der großen Inflation dieses Jahrzehnts, die einen Paradigmenwechsel von einer keynesianischen Konjunktursteuerung hin zur monetaristischen Geldmengensteuerung anstieß. Die Inflationsbekämpfung wurde zur wichtigsten wirtschaftspolitischen Zielsetzung, die nicht mehr primär durch Steuer- oder Haushaltspolitik, sondern durch die Geldpolitik verfolgt wurde. Bisherige Forschungen zum Neoliberalismus, den Wansleben als „imperfect label“ (S. 4) für diese Umbrüche verwendet, erklären aus seiner Sicht zwar die materiellen, politischen und ideellen Bedingungen, unter denen Zentralbanker zu dominanten Akteuren wurden. Aber diese Deutungen, die auf konfligierende ökonomische und machtpolitische Interessen verschiedener Gruppierungen oder die Durchsetzung neuer ökonomischer Ideen abzielen, können weder das konkrete Handeln der Zentralbanker und die unterschiedlichen Strategien der Institutionen noch das komplexe Zusammenwirken mit dem gleichzeitigen Aufstieg internationaler Finanzmärkte erfassen.

Hier sieht Wansleben den Beitrag seiner „New Sociology of Central Banking“ (S. 44). Sie erörtert, wie genau Zentralbanker als bürokratische Akteure die ihnen zur Verfügung stehenden Interventionsmittel nutzten, um politisch gewünschte und legitime Ergebnisse zu erzielen. Wie die Genese seiner Fragestellung macht Wansleben auch im weiteren Verlauf der Studie durch konsequente Rückbindung an bestehende Forschungen transparent, dass viele der von ihm konstatierten Entwicklungslinien bereits benannt wurden. Allerdings konkretisiert er die Zentralbankpolitik anhand von vier Fallbeispielen: Schweizerische Nationalbank (SNB), Bank of England (BoE), US-amerikanische Federal Reserve (Fed) und Deutsche Bundesbank. Dabei besticht aus geschichtswissenschaftlicher Perspektive die Nutzung bisher unveröffentlichter archivalischer Quellen und von Zeitzeugeninterviews, die eine Einbeziehung der internen Kommunikation ermöglichen. Nicht zuletzt diese empirische Basis, aber auch die starken Thesen machen die Studie für Historiker:innen höchst lesenswert.

Unter Rückgriff auf Michael Manns Konzept der „infrastructural power“ erklärt Wansleben, wie die Zentralbanken den wachsenden Finanzsektor zur Durchsetzung ihrer Entscheidungen nutzten. In anderen Worten: Der Finanzsektor wurde zum Vehikel für die Durchsetzung der Zentralbankpolitik – das allerdings, so die These, geschah nicht planvoll, sondern durch Experimente mit politischen Innovationen. Damit arbeitet Wansleben nicht nur die Wechselwirkung zwischen Zentralbankpolitik und Finanzmärkten genauer heraus. Er beleuchtet auch das Paradoxon, dass die Globalisierung von Finanzmärkten, Wertschöpfungsketten und Unternehmensorganisation zwar den Handlungsspielraum von Staaten einschränkte, aber einzelnen staatlichen Organisationen größere Entscheidungsfreiheiten ermöglichte. Die gewachsene Bedeutung der Geldpolitik ermöglichte es Zentralbanken, mit verschiedenen Strategien ihren Einfluss zu vergrößern.

Das Argument wird in sechs Kapiteln ausgearbeitet. Nach einer Darlegung des theoretischen Rahmenwerks (Kapitel 1) wird gezeigt, wie die SNB im Umfeld regulierter Finanz- und korporatistisch organisierter Arbeitsmärkte durch Etablierung eines praktischen Monetarismus die Markterwartungen für die Inflationsbekämpfung steuern konnte. Anders als in der SNB und auch in der Bundesbank gelang das im britischen Fall nicht, auch wegen früherer gescheiterter Monetarismus-Experimente (Kapitel 2). Maßgeblich wurde hier nach der Aufgabe monetaristischer Ansätze 1985 die Implementierung von Inflationszielen in den 1990er-Jahren nach dem Vorbild der Fed, wo ebenfalls eine frühe Abkehr vom Monetarismus stattgefunden hatte. Ein marktbasiertes Finanzsystem, das sich in den 1980er-Jahren infolge der Deregulierung durch Margaret Thatchers Regierung auch in Großbritannien etablierte, reagierte stärker auf die Signale durch die Zinssetzung (Kapitel 3).

Die Bedeutung, die Märkte damit für das Gelingen der Zentralbankpolitik hatten, führte allerdings zu großen Problemen: Weil Zentralbanken zunehmend auf liberalisierte und internationale Finanzmärkte zur Durchsetzung ihrer Gestaltungsansprüche setzten, leisteten sie der Finanzialisierung und damit einer wachsenden Ungleichheit Vorschub, die letztlich zur Etablierung eines nicht nachhaltigen Systems führte. Diese Abhängigkeit von einer freien Marktgestaltung für die Wirksamkeit der Zinssignale setzte darüber hinaus Anreize für weitere Deregulierung. Bundesbank und SNB als Vertreter der Geldmengenpolitik bremsten Innovationen der Finanzmärkte zwar als hinderlich für die Durchsetzung ihrer Geldmengensteuerung, konnten diese Position aber auch nur bis in die 1990er-Jahre durchhalten (Kapitel 4).

Erschwerend kam hinzu, dass die Zentralbanken sich aus der Regulierungsaktivität zurückzogen. Hier betont die Studie die Bedeutung bisheriger informeller Arrangements zwischen Zentralbanken und Finanzsektor. Als die Regulierungstätigkeit zunehmend formalisiert und auf andere staatliche Stellen übertragen wurde, entzogen sich die Zentralbanken, so das Argument, der Verantwortung, ihre Expertise einzubringen. Das war eine bewusste „strategic dissociation“ (S. 182), um durch Misserfolge in diesem Bereich nicht ihre Glaubwürdigkeit und damit den neugewonnenen Status zu riskieren. Anders als gemeinhin angenommen waren Zentralbanken in dieser Deutung nicht Garanten der Stabilität, sondern trugen maßgeblich zur Entstehung der Ungleichgewichte bei, die sich in der Finanzkrise 2008 entluden (Kapitel 5).

Bei der Bewältigung der Krisen ab 2008 spielten die Zentralbanken eine Schlüsselrolle. Obwohl die weitreichende Liquiditätsausweitung scheinbar die einseitige Inflationsorientierung überwand, wurden die strukturellen Probleme nicht gelöst. Ganz im Gegenteil: Das Instrument des Quantitative Easing begünstigt, so Wansleben, nicht nur Kapitaleigner überproportional und verstetigt damit die Ungleichheit. Es fesselt die Zentralbanken auch dauerhaft an die fortgesetzte Existenz eines aufgeblähten Finanzsektors, über den diese Ausweitung der Geldbasis läuft. Ein Ausweg aus dieser institutionellen Falle ist nicht absehbar. Dass diese grundsätzliche Kritik nicht unumstritten ist, legt Wansleben ebenso offen wie den vorläufigen Charakter seiner Deutungen, denn Sperrfristen verhindern für diesen Teil noch den Zugriff auf Archivalien.

Diese Thesen bieten zahlreiche Anknüpfungspunkte für weiterführende Diskussionen. Einige Deutungen sind aus historischer Perspektive weniger überraschend. So weisen quellengesättigte Studien bereits auf die Bedeutung nationaler Zentralbanktraditionen und den Einfluss individueller Akteure hin, etwa für die hier weniger beleuchtete Bundesbank und die Banque de France.1 Trotz der historischen Ausrichtung setzt sich der Autor explizit nur mit soziologischen und politikwissenschaftlichen Forschungsdiskussionen auseinander, wenngleich er wirtschaftshistorische Erkenntnisse aufgreift – wie Duncan Needhams Befunde zu den gescheiterten britischen Monetarismus-Experimenten der 1970er-Jahre.2

Stellenweise werden im Interesse der großen Thesen die Entwicklungen etwas zu gradlinig gezeichnet, was bei einer so weitreichenden Betrachtung vielleicht unvermeidlich ist, aber jedenfalls Potenzial für weitere quellenbasierte Differenzierungen bietet. Beispielsweise wird zwar die Abkehr von festen Wechselkursen ab Ende der 1960er-Jahre als wichtige Bedingung für den Aufstieg monetaristischer Vorstellungen benannt. Dass die BoE 1993 Inflationsziele durchsetzen und ihre geldpolitische Rolle ausbauen konnte, führt der Autor maßgeblich auf den Legitimitätsverlust des Schatzamts nach dem unfreiwilligen Austritt aus der Kursbindung des Europäischen Wechselkursmechanismus (WKM) nach nur zweijähriger Mitgliedschaft (1990–1992) zurück. Warum aber überhaupt die Rückkehr zur Wechselkursbindung im WKM stattfand, wird nicht erklärt. So entsteht der Eindruck, die BoE habe auf diese Gelegenheit gewartet, nach dem Vorbild der Fed das Instrument der Inflationsziele zu implementieren und ihren Einfluss zu steigern. Dabei hatten führende BoE-Vertreter – insbesondere Governor Robin Leigh-Pemberton – zu den engagiertesten Fürsprechern einer WKM-Wechselkursbindung als Alternative zum gescheiterten Monetarismus gehört.

Überhaupt wird die europäische Währungspolitik kaum beleuchtet. Damit wird auch der rege Diskurs über eine EG-Regulierung der Finanzmärkte ausgeklammert, der zur Analyse der Reaktionen auf Regulierung insgesamt hätte beitragen können. Das könnte auch daran liegen, dass SNB und BoE, beide keine Teilnehmer der späteren Europäischen Währungsunion, auch was die Quellentiefe angeht, deutlich stärker gewichtet werden als Fed und Bundesbank. Gerade angesichts der deutlichen Kritik an der Zentralbankpolitik wären zudem die alternativen Handlungsmöglichkeiten der Zentralbanken interessant gewesen, wobei Wansleben ja gerade die Schwierigkeit grundlegender geldpolitischer Reformen eindrücklich belegt.

Wansleben legt eine überaus anregende Studie vor, die durch klare Thesen und eine breite Quellenschau überzeugt und damit auch für die historische Forschung wertvolle Impulse setzt. Dank des sorgfältigen Aufbaus und der klaren Argumentationsstruktur ist das Buch trotz der komplexen Thematik mit etwas Vorkenntnissen sehr gut lesbar, zumal ein Namens- und Sachregister die punktuelle Erschließung erleichtert. Für Forschende zur Rolle von Zentralbanken ist die Lektüre unbedingt zu empfehlen.

Anmerkungen:
1 Clemens Krauss, Geldpolitik im Umbruch. Die Zentralbanken Frankreichs und der Bundesrepublik Deutschland in den 1970er Jahren, Berlin 2021.
2 Duncan Needham, UK Monetary Policy from Devaluation to Thatcher, 1967-82, Basingstoke 2014.

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